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Schweiz startet den größten Kampfjet-Wettbewerb der westlichen Welt - WELT

Der Militärflugplatz Payerne ist die Herzkammer der Schweizer Luftwaffe. 60 Kilometer westlich von Bern gelegen, sitzt dort das Kommando der Luftstreitkräfte der Alpenrepublik. Ein Flugplatz mit viel Tradition. 2014 wurde dort mit einer großen Flugshow 100 Jahre Schweizer Luftwaffe gefeiert. Die Kampfjets, die in den nächsten Wochen in Payerne aufsteigen, haben allerdings nichts mit der Vergangenheit, jedoch viel mit der Zukunft zu tun. In Payerne ist soeben das aktuell größte Vergleichsfliegen führender Kampfjets der westlichen Welt angelaufen.

Bis Ende Juni will die Schweizer Luftwaffe fünf Modellen erproben und danach entscheiden, was nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis der beste Militärjet über 30 Jahre ist. Bis zu acht Milliarden Franken, also gut sieben Milliarden Euro, will die Schweiz im Großprojekt Air2030 für neue Militärjets und ein Verteidigungssystem für ihren Luftraum ausgeben.

Ihre bisher zwei Kampfjet-Typen will die Schweiz schrittweise ab 2025 durch moderne Modelle ablösen und ab 2030 dann nur noch mit einem Typ ihren Luftraum verteidigen oder nachsehen, wer in das Hoheitsgebiet eindringt. Um die Jahreswende 2020/2021 soll der Gewinner der Kampfflugzeug-Castingshow feststehen.

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Flight deck crew members direct a French Rafale fighter jet on the French aircraft carrier Charles de Gaulle in the Mediterranean sea, March 6, 2019. Picture taken March 6, 2019. REUTERS/Jean-Paul Pelissier
Gemeinschaftsprojekt

Anfang des Jahres gab es schon Tests in Simulatoren, und jetzt müssen die Bewerber über den Alpen in der Praxis beweisen, was sie tatsächlich können. Radare und Sensoren funktionieren zwischen Bergen eben anders als über dem Meer. Es ist der Realitätstest zu den Versprechungen im Hochglanzprospekt der Firmen.

Im Gegensatz zu internationalen Luftkampf-Vergleichsmanövern in den USA erproben die Eidgenossen die fünf Kandidaten nicht gleichzeitig, sondern hintereinander. Mit jedem Modelltyp müssen acht Missionen geflogen werden. Sieben Mal ein Pflichtprogramm, wie etwa simulierte Luftkämpfe oder Alarmstarts, sowie eine Kür. Waffen werden nicht abgefeuert.

Die Kandidaten beim Erprobungsfliegen in Payerne sind das Who’s who der westlichen Kampfjet-Szene. „Alle Kandidaten werden gleichbehandelt“, betont Beni Berset, Schweizer Cheftestpilot von der Beschaffungsbehörde Armasuisse. Einer der Topbewerber ist der Eurofighter vom Hersteller Airbus. Unter anderem nutzt Deutschland den Eurofighter, Österreich und Italien ebenso – da würde die Schweiz ein Nachbarschaftspuzzle ergänzen. Zweiter Bewerber ist das Modell F/A-18 Super Hornet von Boeing.

Profis sind auf die Details gespannt

Sein Trumpf ist, dass die Schweizer Luftwaffe dieses Flugzeug bestens kennt und seit zwei Jahrzehnten neben inzwischen veralteten Tiger F-5 einsetzt, die nur noch bei Tag fliegen. Die 30 Boeing-Kampfjets wurden in der Schweiz beim großen Luftfahrt- und Rüstungskonzern Ruag zusammengebaut, der aktuell mit einer Lebensdauerverlängerung der Flugzeuge beschäftigt ist.

Dritter Bewerber ist der französische Hersteller Dassault. Der will zwar künftig mit Airbus einen Kampfjet der nächsten Generation bauen, aber in der Schweiz treten die Franzosen noch als Rivalen auf und treten mit dem Modell Rafale an. Zu den spektakulären Bewerbern gehört als vierter Kandidat der US-Konzern Lockheed Martin mit seinem Tarnkappen-Kampfjet F-35A. Zum Abschluss der Kampfjet-Castingshow tritt der schwedische Hersteller Saab mit dem vergleichsweise neuen Modell Gripen E an.

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Den Auftakt im Erprobungsfliegen machte soeben der Eurofighter von Airbus. Dafür ließ der Luftfahrtkonzern zwei Maschinen der britischen Streitkräfte in der modernsten Variante (P3E) einfliegen. Wenn in Payerne jetzt Eurofighter abheben, sitzt vorne ein Pilot der britischen Streitkräfte und hinten ein Schweizer Pilot, der von den Fähigkeiten des Jets beeindruckt werden soll.

Die Schweizer Luftwaffe soll einen Vorgeschmack bekommen, was der Eurofighter im Vergleich zu den ersten ausgelieferten Versionen (Tranche 1), die in Österreich fliegen und zum Teil auch noch bei der deutschen Luftwaffe, inzwischen kann. Von den 143 Eurofightern bei den deutschen Streitkräften stammen 33 aus der bis 2008 ausgelieferten Tranche 1. Doch die gilt nach gut einem Jahrzehnt schon wieder als überholt und soll etwa ab 2024 ersetzt werden.

Nicht nur für Luftfahrt-Enthusiasten und sogenannte Spotter mit ihren Fototeleobjektiven ist das Vergleichsfliegen in Payerne bis zum Sommer eine Dauer-Air-Show. Auch die Profis sind auf Details gespannt.

Die Bevölkerung bleibt im Unklaren

So verlegt Airbus seine zwei Eurofighter-Modelle für die Zeit der Erprobung fest nach Payerne. Sie können dort auch von der Presse inspiziert werden. Ob das auch Lockheed Martin mit seinem Tarnkappen-Modell F-35A macht, ist jedoch noch offen. Womöglich werden die Maschinen nur für die Missionen jeweils aus Italien eingeflogen. Die F-35 gibt es auch nur als Einsitzer, daher kann kein Schweizer Pilot mitfliegen. Experten dürften auch mit Interesse verfolgen, wie viel von der F-35A auf Radarschirmen zu sehen ist, wenn der Jet mit Tarnkappeneigenschaften im Angriffsmodus fliegt.

So könnte nebenbei heimlich untersucht werden, was sogenannte Passivradare am Boden leisten, mit denen die Tarnkappentechnik von Kampfjets ausgehebelt werden kann. Für Lockheed Martin ist es also gar nicht so einfach, alle Geheimnisse des F-35 zu schützen. Der jüngste, noch ungeklärte Absturz einer F-35 vor der Küste Japans, bei der vermutlich der Pilot ums Leben kam, ist auch nicht verkaufsfördernd.

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Der Erprobungstest in der Schweiz hat viele Besonderheiten. Dazu gehört, dass es vor gut einem Jahrzehnt schon einmal ein Bewerberfliegen gab, allerdings ohne US-Modelle. Damals ging das schwedische Modell Gripen E als Sieger hervor. Der Beschluss zur Beschaffung wurde aber in einem Volksreferendum 2014 mit 53 Prozent Neinstimmen gekippt. Die jetzige Erprobung ist also der zweite Anlauf, damit die Luftwaffe endlich neue Kampfjets bekommt.

Aber auch jetzt ist nicht alles sicher. Eine Volksabstimmung im Herbst 2020 könnte über das Milliardengesamtpaket Air2030 mit Kampfjets plus Luftverteidigungstechnik entscheiden. Welcher Flugzeugtyp letztlich ausgewählt wird, soll erst danach der Bundesrat entscheiden, etwa Ende 2020, Anfang 2021.

Kritiker der Kampfjet-Beschaffung, wie die Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA), sehen im Drehbuch einen Trick. Die neue, erste Verteidigungsministerin der Schweiz, Viola Amherd, lasse so die Bevölkerung im Unklaren. Die neuen Kampfjets seien ohnehin ein Klimaschreck und Lärmbelästiger, heißt es bei den Gegnern, obwohl zur Erprobungskampagne auch Lärmmessungen gehören, die veröffentlicht werden.

Eurofighter passt zur „Topografie der Schweiz“

Zu den Besonderheiten der Ausschreibung gehört auch, dass die Schweiz 100 Prozent „Offset“ fordert. Hinter diesem Fachbegriff verbirgt sich die Forderung, dass der Gewinner der Ausschreibung eine wirtschaftliche Gegenleistung in der Schweiz in gleicher Höhe leisten muss. Also beispielsweise Milliarden investieren, um dort Arbeitsplätze zu schaffen, Produktion anzusiedeln oder Waren einkaufen.

Die in der Branche umstrittene „Offset“-Regelung hat eigene Kennziffern, wie Investitionen angerechnet werden. So ist der Schweizer Ruag-Konzern derzeit in die Produktion des US-Kampfjets Boeing F/A 18 eingebunden. Experten sehen im Bereich Gegengeschäfte einen Vorteil für Airbus.

Bemerkenswert ist auch, dass es sich bei der Eurofighter-Bewerbung um ein Government-to-Government-Geschäft handelt. Die Regierung in Bern verhandelt also letztlich mit der Bundesregierung in Berlin über die Beschaffung. So kann ein Gesamtpaket über rein militärische Aspekte hinaus geschnürt werden. Bei einem Präsentationstag in Payerne betonte die deutsche Delegation verständlicherweise jetzt die Stärken des Eurofighters.

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„Mit seiner Agilität passt das Flugzeug hervorragend zur Topografie der Schweiz“, sagte Ingo Stüer vom Kommando der deutschen Luftwaffe. Das Modell sei bei seiner technischen Entwicklung längst nicht ausgereizt. Ralf Schnurr aus dem deutschen Verteidigungsministerium stellte neben militärischen Aspekten auch einen Bahnausbau auf deutscher Seite in Aussicht. Eben ein Rundumangebot.

Für Airbus steht mit der Schweiz-Entscheidung viel auf dem Spiel. Auch in Deutschland steht die Beschaffung neuer Kampfjets an – als Ersatz für die betagten Tornado-Bomber. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat die Bewerbung des US-Modells F-35 zwar schon aussortiert. Aber es bleiben noch der Eurofighter und das Boeing-Modell F/A 18 – beides auch Kandidaten in der Schweiz.

Das Kalkül von Airbus ist nun, dass sich Berlin und Bern gemeinsam für den Eurofighter entscheiden. Das würde die Stückzahl hochtreiben, was sich wirtschaftlich auszahlen könnte. Ein Airbus-Sprecher lässt dies auf Anfrage anklingen: „Der Austausch der deutschen Tranche-1-Eurofighter und die derzeitigen Planungen zur Ersatzbeschaffung beim Tornado, wären eine große Chance für die Schweiz, sich anzuschließen. Dies hätte viele Vorteile. Die Unterstützung für das Modell wäre auch auf Jahrzehnte gesichert.“ Bis zum nächsten Vergleichsfliegen in Payerne soll es also noch möglichst lange dauern.

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2019-04-15 13:40:00Z
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