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Schutzmaßnahmen: Warum die Schweiz entschlossener als Deutschland gegen Corona vorgeht - Handelsblatt

Coronavirus - Schweiz

Schweiz, Mendrisio: Ein Mitarbeiter des Ambulanzdienstes legt vor seinem Einsatz eine Mundschutzmaske an. Die Beamten ergreifen verschiedene Maßnahmen, um die Verbreitung des Virus zu verhindern.

(Foto:& dpa)

Gewohnheiten sind eine Last: vor einigen Tagen erklärte der Schweizer Gesundheitsminister Alain Berset im Fernsehen, wie sich die Bevölkerung vor der Ansteckung mit dem Coronavirus schützen kann. Die Schweizer sollen zu ihren Mitbürgern respektvollen Abstand halten, erklärte er. Auch Händeschütteln sei Tabu.

Doch dann verstieß Berset gegen die eigenen Regeln: Er verabschiedete sich vor laufenden Kameras mit einem Händedruck von der Gesundheitsdirektorin. Mit seinem Handshake zog Berset in den sozialen Medien viel Spott auf sich. Und sein Sprecher übte sich in Schadensbegrenzung: „Bundesrat Berset wäscht sich sehr häufig die Hände“, sagte er.

Der Fauxpas passt so gar nicht zum planvollen Vorgehen der Schweizer – aber er zeigt, dass Theorie und Praxis bei der Bekämpfung des Virus manchmal auseinanderklaffen.

Trotzdem reagiert die Schweiz deutlich entschlossener auf die Ausbreitung des Virus als die Nachbarn in Deutschland. Während in Deutschland noch zehntausende Fans in Fußballstadien strömen, hat die Schweiz schon in der vergangenen Woche sämtliche Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern untersagt. Fußballspiele der Schweizer Superleague wurden verschoben, Eishockeymatches finden vor leeren Rängen statt.

Am Freitag gab der Bundesrat dann neue Empfehlungen an Arbeitgeber und Bevölkerung aus. Pendler sollen das Reisen zu Stoßzeiten vermeiden. Soldaten im Assistenzdienst sollen die Kantone unterstützen, etwa mit Krankenwagen. Mit bemerkenswerter Effizienz versuchen die Schweizer, die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen.

Verbreitung mit beunruhigendem Tempo

Wie kann das sein? Normalerweise lautet die Devise der Eidgenossenschaft: Nur nichts überstürzen. Über die Abschaffung des Bankgeheimnisses hat die Schweiz Jahrzehnte gestritten. Und bis heute fliegt die Armee mit museumsreifen Kampfjets, weil sich das Land nicht auf die Beschaffung eines Nachfolgers einigen kann. Doch bei der Corona-Bekämpfung reagiert die Regierung des Landes mit beachtlicher Entschlossenheit.

Und das aus gutem Grund: Denn in der Schweiz hat sich das Virus mit beunruhigendem Tempo verbreitet. Am Freitag zählten die Schweizer Kantone insgesamt 210 Fälle. Verglichen mit Deutschland wirkt das nach wenig. Doch gemessen an der Bevölkerungsgröße des Landes zählt die Schweiz bereits zwei Fälle je 100.000 Einwohner. In Deutschland sind es halb so viele.

Zudem verzeichnete die Schweiz am Donnerstag den ersten Todesfall: Im Kanton Waadt war die erste Patientin am Coronavirus gestorben. Es handelte sich um eine über 70-jährige Frau mit einer chronischen Erkrankung.

Ein Grund für die schnelle Ausbreitung dürfte die Nähe zu Italien sein – und damit zu dem Land, in dem es außerhalb von China die meisten Corona-Fälle gibt. Im Schweizer Kanton Tessin pflegt man enge Beziehungen zu den südlichen Nachbarn, und dank des Gotthard-Basistunnels ist Mailand auch von Zürich aus schnell mit dem Zug zu erreichen. So trugen vor allem junge, reiselustige Menschen das Virus in die Schweiz.

Doch längst breitet sich die Krankheit auch innerhalb des Landes rasant aus. Noch haben sich vor allem junge Menschen infiziert. Doch das Schweizer Bundesamt für Gesundheit fürchtet, dass sich nun verstärkt ältere Menschen oder Personen mit Vorerkrankungen anstecken. Für diese Gruppen ist das Virus besonders gefährlich.

Die Logik: Wenn sich die Verbreitung des Virus schon nicht mehr verhindern lässt, dann sollen wenigstens die Menschen geschützt werden, die besonders davon bedroht sind.

„Wir stehen vor einer epidemischen Welle“, sagte Daniel Koch, Leiter der Abteilung für übertragbare Krankheiten beim Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG). Die Bevölkerung müsse nun solidarisch versuchen, die Welle abzuschwächen, um besonders anfällige Bürger zu schützen. Wer nicht zu einer Risikogruppe gehört und Symptome hat, soll zuhause bleiben, solange es geht. Das soll das medizinische System entlasten. Koch: „Nur zu denken, ich habe was, ist kein Grund, um auf den Notfall zu gehen“.

Zuvor hatte die Berner Regierung ihre Ratschläge ergänzt: Die Bewohner der Schweiz sollen nicht nur ihre Hände waschen oder in die Armbeuge niesen, sondern nun auch Abstand voneinander halten, etwa in Warteschlangen oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Distanz soll besonders ältere Menschen schützen. Mit Plakaten und Werbeanzeigen soll die Botschaft unters Volk gebracht werden.

Spezielles Epidemiengesetz

Anders als in Deutschland verfügt der Bund in der Schweiz über weitreichende Kompetenzen. Möglich macht dies ein spezielles Epidemiengesetz. Es trat im Jahr 2016 in Kraft, nachdem es von der Mehrheit der Schweizer in einer Abstimmung angenommen wurde – gegen den Widerstand von Naturheilkundlern und Impfgegnern, die vergeblich gegen das Gesetz gekämpft hatten.

Das Coronavirus ist für das neue Gesetz nun der erste Ernstfall. Zur Abwehr von ansteckenden Krankheiten kann der Bund dabei schrittweise die Führung übernehmen. Denn normalerweise ist die Gesundheitsvorsorge in der Schweiz die Aufgabe der Kantone – ähnlich wie in Deutschland, wo der Infektionsschutz zum größten Teil Ländersache ist.

Doch dank des Epidemiengesetzes konnte der Schweizer Bund eine „besondere Lage“ ausrufen – und so Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Personen verbieten. Schlimmstenfalls könnte Bern gar eine „außerordentliche Lage“ erklären – dann kann die Regierung für das ganze Land oder einzelne Landesteile notwendige Maßnahmen anordnen.

Schon jetzt zeigt sich aber, dass das Schweizer Modell auch seine Schwächen hat. Denn den Umgang mit Veranstaltungen mit weniger als 1000 Teilnehmern hat die Bundesregierung den Kantonen überlassen. Und so regiert beim Kampf gegen das Coronavirus das, was man in der Schweiz den „Kantönligeist“ nennt: Jeder kocht sein eigenes Süppchen – und stiftet damit absolute Verwirrung. Daran konnte auch eine Koordinationssitzung am Mittwoch nichts ändern.

Im Kanton Aargau etwa müssen sämtliche Veranstaltungen vom Amtsarzt genehmigt werden. Im Kanton Zürich sehen sich die Behörden zu einer solchen Prüfung gar nicht in der Lage – und sprechen nur generelle Empfehlungen aus.

Einheitliches Vorgehen gefordert

Die Folge ist ein Flickenteppichs mit absurden Konstellationen. So berichtete das Boulevardblatt „Blick“ von einem Sportclub, der sein Heimspiel vor leeren Rängen durchführen musste. Das Rückspiel in einem anderen Kanton fand dann aber ganz normal mit Zuschauern statt. „Dass sich die Bündner Fans in der Heimat treffen, ist zu gefährlich – eine Zugfahrt durch die halbe Schweiz mit anschließendem Match ist aber kein Problem“, krittelt das Blatt.

Doch das Virus schert sich nicht um Länder- oder gar Kantonsgrenzen. Gesundheitsexperten fordern deshalb ein einheitliches Vorgehen: „Ich würde mir wünschen, dass die Kantone gemeinsam vorgingen“, sagt etwa der Mediziner und Politiker Felix Gutzwiller.

Wenn die Schweiz die Ausbreitung des Virus wirksam eindämpfen will, muss sie sich womöglich auch von anderen Gewohnheiten verabschieden – nicht nur vom Händeschütteln. Bundesrat Berset nimmt seinen versehentlichen Handshake jedenfalls gelassen. Es sei nicht einfach, aufs Händeschütteln zu verzichten, sagte er am Freitag. „Das weiß ich aus eigener Erfahrung“. Aber wenn man es doch tue, sei das kein Beinbruch. Aber dann laute die Devise: „Händewaschen, bitte!“

Mehr: „Keine Haftung bei höherer Gewalt“. Untersagen Behörden Veranstaltungen wegen Corona-Gefahr, bleibt jeder auf seinen Kosten sitzen. Etliche Messebauer könnte das existenziell bedrohen.

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2020-03-07 13:47:28Z
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