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Cum-Ex: Spion oder Held? - ZEIT ONLINE

Ein deutscher Anwalt half, einen großen Steuerraub aufzudecken. In der Schweiz wird er nun wegen Spionage angeklagt. Renommierte Strafrechtler halten ihn für unschuldig.

Cum-Ex: Das Bezirksgericht in Zürich: Hier beginnt am 26. März der Prozess gegen den deutschen Rechtsanwalt Eckart Seith.
Das Bezirksgericht in Zürich: Hier beginnt am 26. März der Prozess gegen den deutschen Rechtsanwalt Eckart Seith.

Darf man geheime Dokumente an Staatsanwälte und Steuerfahnder weitergeben, wenn sie dazu beitragen, den größten Steuerraub der deutschen Geschichte aufzudecken? An einem aktuellen Fall ist gut abzulesen, dass über diese Frage in Deutschland und der Schweiz große Uneinigkeit herrscht.

In Deutschland lautet die Antwort auf die Frage in der Regel ja. Ermittler haben sogar schon CDs von Informanten gekauft, auf denen sich vertrauliche Bankinformationen von mutmaßlichen Steuerhinterziehern befanden. Und so wird auch der Stuttgarter Rechtsanwalt Eckart Seith hierzulande von Staatsanwälten und Steuerfahndern hoch geschätzt, weil er ihnen brisante Akten übergab, die er über mutmaßlich illegale Cum-Ex-Geschäfte gesammelt hatte. Das Material half maßgeblich bei Ermittlungen, die Staatsanwaltschaften in Köln, Frankfurt, München, Stuttgart und Düsseldorf seit 2014 vorantreiben.

In der Schweiz sehen die Strafverfolger das ganz anders. Sie wollen Seith und zwei Mitangeklagten in der kommenden Woche vor dem Bezirksgericht Zürich den Prozess machen. Die Staatsanwaltschaft Zürich hat Seith wegen Geheimnisverrats und Wirtschaftsspionage angeklagt. Ihm drohen drei Jahre und sechs Monate Gefängnis.

Der Prozess ist ein weiteres Kapitel in einem Steuerkrieg, den sich Deutschland und die Schweiz seit vielen Jahren liefern. Nun aber geraten die Schweizer Behörden im eigenen Land unter Druck. An diesem Dienstag legen drei renommierte Rechtsprofessoren aus der Schweiz und aus Deutschland ein Gutachten vor, das die Anklage der Züricher Staatsanwälte in der Luft zerreißt.

Kurz erklärt - Wie der Cum-Ex-Steuerskandal abgelaufen ist Es ist der wohl größte Steuerskandal der deutschen Geschichte. Wie Banken und Anwälte Milliarden entwendeten, zeigen wir in diesem Video.

Das Gutachten war von den Verteidigern der Angeklagten in Auftrag gegeben worden. Weder Seith noch seine beiden Mitangeklagten hätten sich demnach eines Geheimnisverrats oder einer Wirtschaftsspionage strafbar gemacht, schreiben die Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes aus Bremen, der Kriminologe Mark Pieth aus Basel und der Wirtschaftsrechtler Anton Schnyder aus Zürich. Im Gegenteil: Der Schweizer Staat habe ja kein Interesse daran, die Informationen abzuschirmen, die Seith an die deutschen Behörden weitergegeben hat. "Der Schweiz ist es kein Anliegen, Schweizer Banken vor einer (zivil-)gerichtlichen Aufarbeitung ihrer allfälligen Beratungsfehler zu schützen", schreiben die Rechtsexperten in dem Gutachten, das ZEIT ONLINE vorliegt.

In dem Prozess geht es darum, wie weit das Schweizer Bankgeheimnis reicht. Darüber streiten Deutschland und die Schweiz schon lange. Schweizer Banken hatten reichen deutschen Kunden mithilfe des Bankgeheimnisses über Jahrzehnte geholfen, ihr Geld vor dem deutschen Fiskus zu verstecken. Der frühere deutsche Finanzminister Peer Steinbrück drohte 2009 sogar, er werde die Kavallerie schicken, um diese Praxis zu beenden. Mittlerweile ist das Bankgeheimnis gelockert worden. Aber der Steuerkrieg dauert an.

Im vergangenen Jahr hat die ZEIT detailliert über den Fall Seith berichtet. Er führt zurück ins Jahr 2013. Damals engagierte der Ulmer Unternehmer Erwin Müller den Anwalt. Müller hatte die gleichnamige Drogeriekette aufgebaut und war darüber zum Milliardär geworden. Aus seinem Vermögen hatte Müller 50 Millionen Euro in sogenannte Cum-Ex-Geschäfte investiert, vermittelt durch die schweizerische Bank J. Safra Sarasin. Bei den Deals ging es darum, einmal an den deutschen Fiskus gezahlte Steuern mehrfach zurückzufordern. Mit dieser Methode waren dem deutschen Staat über Jahre hinweg viele Milliarden Euro geraubt worden.

Doch bei Müller ging die Sache schief. Deutsche Steuerbeamte waren misstrauisch geworden und hatten die Auszahlung gestoppt. Müllers Geld war weitgehend weg. Das wollte der Unternehmer nicht akzeptieren. Er argumentierte, nicht gewusst zu haben, in was er da genau investiert hatte.

Es geht um 45 Millionen Euro

Seith versuchte, Auskunft von der Bank über den Ablauf der Geschäfte zu erhalten. Doch die Bank lieferte nicht. Stattdessen fand Seith zwei Mitarbeiter der Bank, die ihm brisante Dokumente übergaben. Mithilfe dieser Unterlagen verklagte Seith die Bank vor dem Landgericht Ulm und gewann. Das Gericht sprach Müller einen Schadensersatz in Höhe von rund 45 Millionen Euro zu. Eine Berufung wies das Oberlandesgericht Stuttgart ab, die Bank verzichtete auf weitere rechtliche Schritte.

Doch damit war die Sache nicht beendet. Die Züricher Staatsanwälte argumentieren, der Bank sei ein Schaden von 45 Millionen Euro entstanden, weil Seith und die beiden Bankmitarbeiter Geschäfts-, Berufs- und Bankgeheimnisse verletzt und "Wirtschaftlichen Nachrichtendienst" betrieben hätten. Seith habe sich durch seine Handlungen "schuldig gemacht, wofür er zu bestrafen ist".

Dieser Argumentation hatten im vergangenen Jahr schon die Schweizer Strafrechtsprofessoren Martin Killias und Daniel Jositsch widersprochen. Sie schrieben in einem Gutachten, das Seith in Auftrag gegeben hatte, es sei anzunehmen, dass die verratenen Geheimnisse "Vorgänge über illegale Geschäftspraktiken betrafen". Diese seien nicht schutzfähig.

"Der Falsche vor Gericht"

Die drei neuen Gutachter gehen noch weiter. Sie schreiben, die Bank hätte ihren Kunden über die problematische Rechtslage der Cum-Ex-Deals "umfassend und proaktiv" aufklären müssen – auch über den Inhalt zweier Gutachten der Anwaltskanzlei Freshfields, die die Bank selbst in Auftrag gegeben hatte und die nach Ansicht der Rechtsprofessoren Zerbes, Pieth und Schnyder "die Schuld der Bank am Verlust der Investitionen von Erwin Müller belegten". Die neuen Gutachter meinen sogar, "Indizien für eine arglistige Täuschung seitens der Bank" zu erkennen.

Auch den Vorwurf der Wirtschaftsspionage weisen die Rechtsexperten zurück. Denn der Schweizer Staat könne nur ein Interesse daran haben, die übergebenen Informationen abzuschirmen, wenn er Beweise für Schadensersatzansprüche unter Verschluss halten wolle. "Derartige Anliegen können der Schweiz definitiv nicht unterstellt werden." Der Schweizer Staat habe kein Interesse daran, zu verhindern, dass einschlägige Beweise offengelegt werden. Das Interesse der Schweiz sei vielmehr auf die Qualität des Bankenplatzes ausgerichtet. Dazu gehöre eine ordnungsmäßige Beratung von Bankkunden und eine Beschränkung auf seriöse Anlageformen.

Unterstützung findet Seith auch bei der Bürgerbewegung Finanzwende. Deren Vorstand Gerhard Schick hatte als Bundestagsabgeordneter der Grünen den Cum-Ex-Untersuchungsausschuss initiiert. Schick sagt: "Der Falsche steht vor Gericht." Eckart Seith habe entscheidenden Anteil an der Aufklärung des Milliardenraubs Cum-Ex. "Bei CumEx waren bisher nur Hinweisgeber hinter Gitter, aber kein einziger der kriminellen Finanzmarktprofis, die uns Milliarden aus der Tasche gezogen haben!" Das drohe nun, in Zürich seine Fortsetzung zu finden. Den Anklägern will die Bürgerbewegung ein Symbol entgegensetzen und eine Petition beim Bundespräsidenten einreichen. Als Zeichen bürgerschaftlicher Solidarität fordert sie das Bundesverdienstkreuz für Seith.

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https://www.zeit.de/wirtschaft/2019-03/cum-ex-steuerbetrug-wirtschaftsspionage-anklage-schweiz

2019-03-19 14:29:37Z
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