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Schweiz: Andermatt-Sedrun ist mehr als nur ein Skigebiet - WELT

Um 5.30 Uhr früh klingen helle Gesänge durch einen Trakt des Klosters Disentis, die Benediktinermönche halten Morgenandacht. Glockenklare Stimmen, die sich mal zu einem Chor vereinen, mal einzeln zu hören sind in diesem herausragend sanierten Barockbau. Vor einigen Jahren hat einer der Mönche, Spross einer wohlhabenden Schweizer Familie, ein Millionenvermögen geerbt, es wurde zur Restaurierung des historischen Gemäuers genutzt. Halleluja!

Auch die Touristen haben etwas davon, ein Teil der Zimmer wird an weltliche Besucher vermietet. Sie können morgens den Gesängen lauschen – zum Glück ist um 7.30 Uhr eine weitere und für den Tagesablauf freundlichere Andacht mit Gesang –, um danach mit Gottes Segen auf den nahen Pisten durch den Schnee zu pflügen.

Die dafür nötigen Bergwiesen rund um die Orte Disentis und Sedrun in Graubünden gehörten einst ebenso zum Klosterbereich wie jene auf der anderen Seite des Gebirgszugs in Andermatt. Vor 1000 Jahren war das, lange bevor die Schweiz in ihrer heutigen Struktur entstand und dieser Alpenraum in die Kantone Uri und Graubünden aufgeteilt wurde.

Schweiz: Eine Skiliftverbindung namens Schneehüenerstock-Express bringt die beiden Täler zusammen
Eine Skiliftverbindung namens Schneehüenerstock-Express bringt die beiden Täler zusammen

Quelle: picture alliance/KEYSTONE

Seit diesem Winter bringt eine Skiliftverbindung, die den schönen Namen Schneehüenerstock-Express trägt, die beiden Täler und ihre Bergrücken wieder zusammen, verbunden mit der Hoffnung auf einen Aufschwung auf beiden Seiten. Und gleichzeitig kommen sich zwei sehr unterschiedliche Kulturen näher.

Die Gondelbahn verbindet zwei unterschiedliche Kantone

Die Schweizer bilden zwar insgesamt eine große Gemeinschaft, aber sind doch in ihren einzelnen Kantonen sehr verschieden. Die Urner – also die Bewohner des mittelgroßen Kantons Uri – sprechen Schweizerdeutsch, es ist ein Landstrich voller Geschichten rund um den Gründungsschwur der Eidgenossen und Mythen, zu denen auch jene von Wilhelm Tell und dem Gotthard gehören. Größere Städte gibt es nicht, hier ist die Schweiz sehr ländlich.

Die Graubündener wiederum bewohnen den flächenmäßig größten Kanton der Schweiz mit 1000 Gipfeln und bekannten Orten wie Chur, Davos, St. Moritz oder Klosters. Hier wird Deutsch, Italienisch und Rätoromanisch gesprochen, eine internationale Weltläufigkeit ist schon durch die lange Tourismusgeschichte prägend.

Quelle: Infografik WELT

Die neue Skiliftverbindung ist nun die erste überhaupt, die zwei Kantone miteinander verbindet, und dann auch noch so unterschiedliche. Wer mit den Organisatoren spricht, hört auch den Stolz darüber heraus.

„Wir können jetzt gemeinsam mit Andermatt viel selbstbewusster auftreten, wenn wir international um Touristen werben“, sagt Rudolf Büchi, Leiter der Bergbahnen in Disentis. Und sein Kollege Silvio Schmid, Direktor der gesamten neuen Skiarena Andermatt-Sedrun, ergänzt: „Wenn wir das hier verschlafen hätten, wäre es sehr schwierig geworden.“

Andermatts sichere Einnahmequelle versickerte

Entstanden ist mit Andermatt-Sedrun das größte jetzt zusammenhängende Skigebiet der Zentralschweiz mit mehr als 120 Pistenkilometern. Mit etwas Verzögerung kommen zum Ende der diesjährigen Wintersaison auch die Pistenkilometer des Nachbarortes Disentis dazu, die dazu nötige Querverbindung wird demnächst eröffnet.

Skikarusselle dieser Größenordnung sind bei Touristen im ganzen Alpenraum gefragt, auch wenn schon von mittelmäßigen Läufern die Distanzen gar nicht so einfach zurückgelegt werden können. Allein die Möglichkeit zählt.

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Doch bei diesem Vorhaben, das seit 2005 geplant wurde, geht es um mehr. Andermatt auf der einen Seite war lange einer der größten Militärstandorte der Schweiz, hierhin sollten sich große Teile der Bevölkerung zurückziehen können, um im Falle eines Angriffs in den gegrabenen Tunnelsystemen des Talkessels Schutz zu finden.

Doch mit Ende des Kalten Krieges wurde die Armeepräsenz immer geringer, die sichere Einnahmequelle für die Gemeinde versickerte wie Schmelzwasser, die Infrastruktur lag bald am Boden. Ein Skigebiet gab es natürlich, aber ein zu kleines, und die meisten Pisten waren an den steilen Hängen recht anspruchsvoll, nichts für Familien. Das Panorama vom Gemsstock mit Mönch und Monte Rosa war zwar eindrucksvoll, die Abfahrten über den Gurschen- oder den St.-Anna-Gletscher beherrschten aber nur Könner.

Andere Skigebiete besser zu erreichen als Disentis-Sedrun

Auf der gegenüberliegenden Seite kämpfte Disentis-Sedrun, das in einem viel großzügigeren und lieblicheren Tal liegt und viele familienfreundliche Pisten aufweist, mit anderen Problemen. Zwar gab es eine Zugverbindung nach Andermatt, aber das brachte die Tagesausflügler, die die Bergbahnen auslasten und in den Hütten konsumieren würden, nicht in Massen hierher. Für Besucher aus allen größeren Orten der Schweiz gab es Skigebiete, die schneller zu erreichen waren als Disentis-Sedrun.

Schweizer Skigebiet Andermatt-Sedrun: Auch in die Berghütten wurde investiert - hier der Neubau auf dem Piz Calmot in Sedrun
Auch in die Berghütten wurde investiert - hier der Neubau auf dem Piz Calmot in Sedrun

Quelle: Jörn Lauterbach

In dieser Not wurde sogar ganz kreativ eine Bahnstation oder vielmehr ein Ausstiegsschacht für Zugpassagiere des unterirdisch verlaufenden neuen Gotthardtunnels gebaut, damit wenigstens die hier aussteigen könnten, doch dann kam die letzte Betriebsgenehmigung doch nicht. Der Rohbau der Station ist noch zu sehen, „und so ganz aufgegeben habe ich die Idee noch nicht“, sagt Bergbahnchef Büchi.

Aber zunächst einmal stehen mit dem Brückenschlag über den Bergrücken hinweg in gut 3000 Meter Höhe nach Andermatt andere Projekte im Vordergrund, es wird mit hohen Millionen-, ja Milliardensummen jongliert. Und diese kommen auf beiden Seiten, also in Andermatt und in Sedrun, von zwei Einzelpersonen.

Geplant sind weitere Hotels und 42 Apartmenthäuser

In Andermatt ist es ein graumelierter Herr aus Ägypten, der in Berlin studiert hat und meistens in Luzern lebt, der einen Teil seines Vermögens einbringt. Samih Sawiris heißt er, im Orient ist er einer der großen Projektentwickler, sein Bruder führt einen profitablen Telefonanbieter, Geld ist reichlich vorhanden.

Bei einem Besuch vor 14 Jahren in Andermatt konnte er davon überzeugt werden, dass der Ort Entwicklungspotenzial hat, wenn man wirklich groß denkt – also über den eigenen Bergrücken hinaus. Nachdem auch die Bevölkerung, die durch das Siechtum ihres Ortes gebeutelt war, überzeugt war und mit Umweltschützern rund 1500 Einzelauflagen abgestimmt wurden, konnte parallel losgebaut werden: Die Skigondel rüber nach Sedrun und ein Neubauviertel, das seinesgleichen im Alpenraum sucht.

Schweizer Skigebiet Andermatt-Sedrun: Im Neubaugebiet von Andermatt entstehen weitere Unterkünfte für Touristen
Im Neubaugebiet von Andermatt entstehen weitere Unterkünfte für Touristen

Quelle: Jörn Lauterbach

Fertig ist davon erst ein kleiner Teil, aber mit dem Luxushotel „The Chedi“ und dem gerade eröffneten „Radisson Blu Hotel Reussen“ sind schon zwei wichtige Etappen erreicht. Entstehen sollen auf bisher nicht genutzten Wiesen weitere Hotels, aber auch 42 Apartmenthäuser mit 400 Einheiten. Erst wenn pro Bauabschnitt 60 Prozent der Einheiten verkauft sind, darf der nächste Projektschritt angegangen werden.

Und um den Touristen schon bei der Ankunft zu gefallen, wird auch der Bahnhof umgebaut. Sawiri lässt sich seine Andermatt-Story 130 Millionen Franken für die Bergbahnen kosten – und bis zu 1,8 Milliarden Franken für die Wohnanlagen. Bisher ist jeder Cent geflossen, heißt es vor Ort. „Wir wollen qualitativ auf eine Stufe kommen mit Zermatt oder St. Moritz. Und um das zu erreichen, braucht es unter anderem ein erstklassiges Skigebiet“, sagte Sawiri jüngst zu seiner Vision.

Auch in Graubünden gab ein Investor das Geld

Die ohne das jetzt angeschlossene Sedrun nicht möglich wäre. Auch hier waren ohnehin Investitionen geplant, um überhaupt noch im Wettbewerb der Skiorte mithalten zu können. Doch das für die Graubündener risikofreie Engagement aus Andermatt gab auch hier einen weiteren Anschub.

85 Prozent der Sedruner stimmten für den Zusammenschluss, und der Schweizer Investor Marcus Weber, ausgebildeter Skilehrer mit Hauptwohnsitz in Singapur und im internationalen Handel tätig, gab das Geld für ein neues riesiges Hotelprojekt an der Talstation und für den Ausbau weiterer Bergbahnverbindungen, unter anderem rüber nach Disentis in Richtung Kloster.

Dessen einstige Andermatter Gemarkungen sind nun also auf neuem Wege zu erreichen, und auch die ersten Skifahrer buchen sich in die Zimmer ein. Als Skiraum dient noch ein kleiner Schuppen, aber wer den kreativ ausgerüsteten Besuchershop der findigen Mönche gesehen hat, weiß: Auch hier ist die letzte Messe noch nicht gesungen.

Diese Ausrüstung verspricht Schutz und Hilfe bei Lawinen

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Der Winter hat bereits für ein richtiges Schneechaos in den Alpen gesorgt. Auch die Lawinengefahr war in vielen Orten auf höchster Warnstufe. Auch bei den Wintersportneuheiten auf der Messe "Ispo on Snow" dreht sich vieles um das Thema Lawinen.

Quelle: WELT/Lea Freist

Tipps und Informationen für die Schweiz

Anreise: Von Zürich aus ist Andermatt mit dem Auto in etwa 90 Minuten zu erreichen. Es bietet sich aber auch eine Anreise mit der Rhätischen Bahn an, die eine knappe Stunde länger benötigt (zwei Mal umsteigen). Nach Sedrun geht es mit Auto und Zug über Chur in zweieinhalb Stunden.

Unterkunft: In Andermatt hat das „Radisson Blu Hotel Reussen“ in dieser Saison eröffnet – mit einem sehr großen Pool und schöner Wellness-Anlage, das Standard-Doppelzimmer kostet im März 230 Euro pro Nacht (radissonblu.com/de/hotel-andermatt). In Sedrun hat auch erst kürzlich die Anlage „Catrina Experience“ direkt an der Talstation Einweihung gefeiert, Doppelzimmer ab 185 Euro (catrina-experience.com). Wer im Kloster Disentis wohnen möchte: Hier kostet die Nacht pro Person im Doppelzimmer inklusive Frühstück 70 Euro, Einzelzimmer gibt es für 115 Euro (Anfragen und Buchung per Mail unter kkd@kloster-disentis.ch oder telefonisch unter 0041/819296904).

Skipässe: Andermatt testet für Tagesgäste derzeit ein flexibles System, je nach Andrang können Tagespässe bis zu 80 Euro kosten. Aber es gibt auch Tage für 20 Euro. Ein Pass für Erwachsene und sechs Tage für das ganze Skigebiet (120 Kilometer Pisten) schwankt ebenfalls im Preis und kostet Anfang März zwischen 300 und 400 Euro. Jugendliche zahlen etwa die Hälfte, Kinder ein Drittel. Zusätzlich gibt es Familienangebote. Alle Preise und Infos: skiarena.ticketcorner.ch

Reisezeit: Die Skisaison dauert von November bis Mai. Die Durchschnittstemperatur im Winter beträgt minus neun Grad.

Auskunft: andermatt.ch; graubuenden.ch; myswitzerland.com

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Graubünden und Andermatt Ferien sowie Schweiz Tourismus. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter axelspringer.de/unabhaengigkeit.

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https://www.welt.de/reise/nah/article190224825/Schweiz-Andermatt-Sedrun-ist-mehr-als-nur-ein-Skigebiet.html

2019-03-14 09:00:00Z
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