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Kernenergie: Warum die Schweiz nur sehr langsam aus der Atomkraft aussteigt - Handelsblatt

Atomkraftwerk Beznau

Der Reaktor Beznau-1, der sich unweit der deutschen Grenze befindet, ist mit seinem Alter von mehr als 50 Jahren ein Kraftwerks-Oldtimer.

(Foto:& AFP)

Das Ende wurde mit zwei Knöpfen eingeläutet: Als am Freitag die Schweiz zum ersten Mal ein Atomkraftwerk endgültig vom Netz nahm, war das Fernsehen live dabei. Der „große Shutdown“ des Kraftwerks Mühleberg vor den Toren von Bern wurde als Event inszeniert. Die Betreiberfirma BKW hatte Medienvertreter, Politiker und Anwohnern geladen, um das Ereignis zu feiern.

Die enorme Aufmerksamkeit für die Abschaltung kommt nicht von ungefähr: Der 20. Februar gilt als historisches Datum, an dem die Schweiz den Atomausstieg eingeläutet hat. Doch die vier anderen Reaktoren des Landes laufen weiter. Denn die Schweizer haben den Abschied von der Kernenergie zwar beschlossen, doch dieser erfolgt im Schneckentempo – zum Leidwesen der deutschen Nachbarn.

Nicht nur Deutschland beschloss nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 den Ausstieg aus der Kernenergie. Auch die Schweizer Regierung will den Atomausstieg. Doch die Eidgenossen gehen das Thema gemächlicher an als die deutschen Nachbarn.

Zwar werden in der Schweiz keine neuen Reaktoren mehr errichtet, doch ein festes Ausstiegsdatum gibt es nicht. Stattdessen dürfen die bestehenden Meiler weiterlaufen, solange sie als sicher gelten. Die Entscheidung darüber fällt eine Bundesbehörde. Eine Volksinitiative für einen schnelleren Atomausstieg hatte die Mehrheit der Schweizer im Jahr 2016 abgelehnt, sie galt Kritikern als zu radikal.

So wurde das Kraftwerk Mühleberg nicht wegen Sicherheitsbedenken abgeschaltet, sondern aus wirtschaftlichen Gründen. Eine Nachrüstung des 47 Jahre alten Meilers habe sich nicht mehr gelohnt, hieß es bei der Betreiberfirma.

Alte Reaktoren laufen weiter

Mit der Abschaltung fängt die eigentliche Arbeit erst an: Bis 2030 sollen bis zu 300 Mitarbeiter mit dem Abbau der Anlage beschäftigt sein. Die Kosten für die Stilllegung sollen bei rund 927 Millionen Franken (umgerechnet 850 Millionen Euro) liegen. Noch teurer wird die Entsorgung des radioaktiven Materials, für die 1,4 Milliarden Franken (umgerechnet 1,28 Milliarden Euro) veranschlagt werden.

Die vier verbliebenen Reaktoren in der Schweiz laufen weiter – trotz ihres betagten Alters. „Mit einem Durchschnittsalter von 44,2 Jahren betreibt die Schweiz die älteste nukleare Flotte der Welt“, heißt es im „World Nuclear Industry Status Report“.

Der Reaktor Beznau-1, der sich unweit der deutschen Grenze befindet, ist mit seinem Alter von mehr als 50 Jahren ein Kraftwerks-Oldtimer. Atomgegner hatten gar versucht, das AKW für das Guinnessbuch der Rekorde anzumelden.

Sie verweisen auf eklatante Sicherheitsmängel. So wurden etwa im Jahr 2015 bei einer Überprüfung mehrere Schwachpunkte im Sicherheitsbehälter des Kraftwerks entdeckt. Der Reaktor ging vom Netz, konnte aber im Jahr 2018 den Betrieb mit dem Segen der Schweizer Behörden wiederaufnehmen.

Greenpeace

Leute von Greenpeace hängen Banner am Schweizer Atomkraftwerk Beznau auf. Kritiker verweisen auf eklatante Sicherheitsmängel bei der Anlage.

(Foto:& dpa)

Dagegen regte sich nicht nur im benachbarten Baden-Württemberg Widerstand. Im Oktober setzte sich sogar das Bundesumweltministerium für die Abschaltung der Anlage ein. Die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter wandte sich in einem Schreiben an die Schweizer Bundesrätin Simonetta Sommaruga – und drängte auf mehr Tempo beim Atomausstieg.

„Dass die Schweizer Atomkraftwerke in Beznau, Gösgen und Leibstadt nach dem Willen der Betreiber nicht nur 50 Jahre, sondern sogar 60 Jahre und länger laufen sollen, ist eine fatale Fehlentwicklung“, schrieb Schwarzelühr-Sutter an ihre Amtskollegin. Es sei zwingend, dass die Schweiz bei der Entscheidung über längere Laufzeiten die Bevölkerung der Nachbarländer einbeziehe.

Deutscher Ratschlag kommt schlecht an

Doch der Ratschlag der Nachbarn kam in der Schweiz nicht gut an. Das Wirtschaftsblatt „Finanz und Wirtschaft“ sprach gar von einer „anmaßenden Einmischung“ des Nachbarn. Dass die Schweiz ein souveräner Staat sei, habe sich im Umweltministerium wohl nicht herumgesprochen.

Tatsächlich sieht es so aus, als könnte die Regierung in Bern die Kernkraftwerke sogar noch länger laufen lassen. Während einst nach 50 Jahren Schluss sein sollte, ist davon jetzt keine Rede mehr. Das würde dem Land mehr Zeit verschaffen, um die Energiewende zu stemmen.

Im Jahr 2017 machten die Schweizer die „Energiestrategie 2050“ offiziell. Das Alpenland will den Energieverbrauch senken, die Energieeffizienz erhöhen und die erneuerbaren Energien ausbauen. 

Noch stammt mehr als ein Drittel des Stroms aus Atomkraftwerken. Künftig sollen Wasserkraft, Windkraft, Solarstrom und Geothermie die Kernkraft ersetzen. Doch der Ausbau gilt als langwierig und kostspielig, einzig bei der Solarkraft kommt das Land wirklich voran.

2020 will die Regierung den Ausbau der Erneuerbaren forcieren. „Wir brauchen mehr sauberen Strom aus der Schweiz“, forderte Bundesrätin Simonetta Sommaruga kürzlich. Doch die Energiewende wird Jahre dauern. Bis dahin setzen die Schweizer verstärkt aus Importe aus dem Ausland - und auf ihre alten Meiler.

Mehr: Eine Renaissance der Atomenergie ist der falsche Ansatz, um die Klimaziele zu erreichen. Es müssen andere Lösungen her, denn Kernkraft hat mindestens zwei eklatante Schwachpunkte.

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2019-12-21 15:30:22Z
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