Search

Schweiz: Wandern mit Schneeschuhen durch die Rheinschlucht - WELT

Der See liegt tief im Wald und glitzert im Schnee wie ein Edelstein. Schön und geheimnisvoll. Felsbrocken liegen zwischen Bäumen, wie nachlässig hingeworfen. Die Schritte knirschen im Schnee, der Weg führt abwärts durch den verschneiten Wald. Das Setting ist lieblich, und eine seltsame Kraft nimmt den Schneeschuhwanderer in Bann.

Plötzlich steht man vor dem Abgrund – und alles ist anders: Dieser Einschnitt ist eine brutale Kerbe, wild und wüst, wie für die Ewigkeit hineingefräst – der Übergang vom Wald zum Absturz erfolgt unmittelbar. Die Tiefe hat einen unheimlichen Sog. Steine poltern.

Fast 400 Meter tiefer windet sich der Rhein durch diese Schlucht, gräbt sie tiefer. Das, was hier passiert ist, ist aus geologischer Sicht nur einen Wimpernschlag alt: Vor nicht einmal 10.000 Jahren ging hier ein unvorstellbarer Bergsturz nieder, bedeckte alles mit Schutt – und der Rhein begann damit abzuräumen.

Blick von der Aussichtsplattform in die Schlucht

Dies ist die Rheinschlucht im Kanton Graubünden. Eine Aussichtsplattform haben sie hierhin gestellt, und wer sich traut hinaufzugehen, blickt auf Unvorstellbares. Rippen und Grate wachsen unter dem Wald hervor, offenbaren eine andere Realität; steil und spitz und in erdigem Weiß.

An ihrer Basis fließt ein sanfter Strom aus Schutt und Schotter, angeschmiegt wie ein Laken, doch auch der kennt nur eine Orientierung – nach unten. Dort windet sich in üppigen Schleifen der Rhein. Das Wasser glitzert dort, wo die Sonne hineingreift.

Schweiz: Im Kanton Graubünden windet sich der Rhein in üppigen Schleifen durch die Schlucht
Im Kanton Graubünden windet sich der Rhein in üppigen Schleifen durch die Schlucht
Quelle: Getty Images/500px Plus/André Lehmann/500px

Absturz, Endlichkeit und Transformation, wohin das Auge blickt: Wie die kleine Insel mit den Bäumen im Strom aus Schutt, die unweigerlich hinunterrutscht und ins Wasser fallen wird. Wie ein Stück Wald, auf halbem Hang hängen geblieben.

Wie die schroffe Wand, noch himmelhoch, die bald – in geologischen Zeiträumen betrachtet – als Sandbank in der Nordsee enden wird. Wie die Schatten der Dohlen und Krähen, deren Rufe von einer Wand zurückgeworfen werden.

Wanderwege in die Rheinschlucht

Im Banne des Unheimlichen. Trotz dieser Wildheit, des bizarren Chaos hat der Blick in die Schlucht und die Tatsache, hier am Abgrund angelangt zu sein, etwas hypnotisch Beruhigendes. Es ist fast surreal, irre Formen in erdigen Farben. Dazu das unheimliche Echo der Vogelrufe, das heraufweht wie die Kälte.

Über der Ruinaulta, wie die Schlucht im Rätoromanischen heißt, kreisen Adler. Der Zusammenbruch dieser Landschaft, des vermeintlich festen Fundaments, hat etwas Bedrohliches. Dieses Gewaltige, die unfassbare Kraft, aber ist faszinierend. Man bekommt Lust, sich darin zu verlieren. Will man sich darauf weiter einlassen? Aber ja; allerdings nicht hier.

Lesen Sie auch
Winterwandern in der Schweiz: auf der "Senda culturale" nahe des Weilers Vrin

Die Wanderwege befinden sich in sicherer Entfernung zur Abbruchkante, von der man sich tunlichst fernhalten sollte, ebenso wie von den Canyons in der Schluchtwand. Und es gibt Wege in die unzugänglich wirkende Rheinschlucht, und zwar dort entlang, wo sie jeden Augenblick neu geschaffen wird. Ganz unten, am Fluss entlang.

Entlang der Strecke der Rhätischen Bahn

Béatrice Paul ist Wanderleiterin, sie führt Gäste im Winter mit Schneeschuhen durch die Rheinschlucht. Man kann sich unten an einem Bahnhof mit ihr treffen, denn obwohl die Gegend ziemlich unzugänglich ist, führt eine Eisenbahnstrecke hindurch.

Der Rhein entspringt rund 60 Kilometer von hier entfernt als einer seiner beiden Quellarme aus einem Bündner Bergsee. Am Bahnhof Valendas-Sagogn beginnt diese Wanderung durch die Schlucht – und auch die Eisenbahn nimmt diesen Weg.

„Meist sind die Gleise weiter vom Weg entfernt“, sagt Béatrice Paul. Es ist die Eisenbahnstrecke der Rhätischen Bahn, die sich hier spektakulär durch die Landschaft zieht. Später winken die Passagiere des berühmten „Glacier-Express“.

Lesen Sie auch
Graubünden (Schweizer Alpen): Seit März verfügt der Glacier Express über eine neue Luxusklasse mit edlem Essen und Panoramafensterplatz
Länderkunde Graubünden

Trotz des meist blauen Himmels trifft man selten auf andere Winterwanderer. Im Gegensatz zum Sommer, dann sind hier mitunter viele Menschen unterwegs. Der Wanderweg führt am Ufer des Rheins entlang, und zwar so, dass man immer wieder grandiose Ausblicke auf die Felswände hat, aber trotzdem in sicherer Entfernung wandert.

„Wir müssen uns von allzu steilen Hängen oder gar überhängenden Flächen fernhalten, denn das Material ist instabil. Und wenn wir doch nahe vorbei müssen, dann bleib nicht stehen und geh zügig weiter“, mahnt Béatrice Paul.

Die Schneeschuhe krachen über Eiskristalle

Der Pfad führt nun über eine lang gestreckte Schotterbank. Im Kontrast zum Schnee wirkt das Wasser schwarz. Fällt Licht hinein, strahlt es grün. Wasser hat den Eisgrieß an manchen Stellen zusammengeschoben. Zwischen den Kieseln glitzert der Frost, und bald krachen die Schneeschuhe über zerbrechliche Eiskristalle.

Die Strecke ist ein zunehmend wirrer werdender Irrgarten aus Schnee und Eis, aus Wasser und Sand, aus aufgeworfenem Kies und Treibholz. Hier mündet der Carrera-Bach in den Rhein, der große Fluss wird an die gegenüberliegende Flanke gedrängt und fräst sich dort in den Hang.

Lesen Sie auch
Bergsteiger Reinhold Messner setzt sich für die Rettung der Berge ein
Massentourismus

Ab dem Frühling darf hier der Wanderweg nicht mehr verlassen werden, denn im Naturschutzgebiet brüten seltene Vögel. Vom Flussbett ist ein leises Klappern und Kollern der Steine zu hören. Im Winter führt der Rhein hier nicht viel Wasser.

Auf der anderen Seite des Flusses ragt die Wand senkrecht in die Höhe, das Wasser hat Höhlen und Grotten in den Berg gewaschen. In diesen fantastischen Erosionsformen herumzuklettern, ist allerdings wenig ratsam – zu unsicher, zu locker ist dieses Gestein, das eigentlich keines ist. Es ist eher zusammengedrücktes Geröll, aber kein fester Fels.

**Anzeige: Entdecken Sie auf vinos.de unsere Wein-Probierpakete zum Kennenlernpreis und finden Sie Ihren neuen Lieblingswein.**

Ein riesiger See entleerte sich sintflutartig

Vor rund 9500 Jahren stürzten von weit oberhalb des heutigen Ortes Flims unvorstellbare zehn Kubikkilometer Fels, Sand und Gestein Richtung Rheintal. „Teilweise schwappten die Schuttmassen auf die andere Seite, der Bergsturz bedeckt eine Fläche von gut 50 Quadratkilometern – so wurde das Rheintal verfüllt“, sagt Béatrice Paul.

Oberhalb bildete sich ein riesiger See, der sich irgendwann sintflutartig entleerte und augenblicklich eine 80 Meter tiefe Kerbe in den Schutt fräste. „Dies war der Anfang der Rheinschlucht, und der Prozess ist noch längst nicht abgeschlossen.“

Hüfthohe Bodenwellen aus Schnee und Schotter machen die Passage zu einer Herausforderung. Es ist wüst und leer wie am ersten Tag, roh und im Urzustand, es ist eine Reduktion auf das Wesentliche – Erde und Himmel, Wasser und Stein, Licht und Schatten. In der Sonne spürt man Wärme, gleichzeitig kriecht die Kühle des Wassers heran.

Auf einer verschneiten Alm hält Béatrice Paul eine Überraschung bereit: Aus ihrem Rucksack holt sie einen großen Topf. Freundliche Leute haben Holz am Wegesrand gestapelt, bald brennt das Feuer, und ein heimeliger Duft nach Rauch weht in die Nase.

Die Wanderführerin schneidet Brot in dicke Scheiben und bröckelt würzigen Käse in den Topf, fertig ist das Käsefondue irgendwo im Nirgendwo. In der Ferne poltern Steine in eine große, grandiose Schlucht. Nie hat eine Zwischenmahlzeit besser geschmeckt.

Rheinschlucht (Graubünden, Schweiz)
Quelle: Infografik WELT

Tipps und Infos für Graubünden

Anreise: Guter Ausgangspunkt für Touren durch die Rheinschlucht ist der Wintersportort Flims. Flims ist mit von Chur aus, wo Anschluss an den Fernverkehr der Deutschen Bahn besteht, gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar.

Wanderrevier: Die Rheinschlucht ist eine bis 350 Meter tiefe Schlucht in der Surselva im Schweizer Kanton Graubünden. Hier bahnt sich der Vorderrhein über rund 13 Kilometer seinen Weg von Ilanz bis zur Mündung des Hinterrheins bei Reichenau. Der einzige durchgehende Verkehrsweg durch die Schlucht bildet die Strecke der Rhätischen Bahn. In der Schlucht liegen die Bahnhöfe von Trin, Valendas-Sagogn und von Versam-Safien. Die beschriebene Strecke zwischen den Bahnhöfen Valendas-Sagogn und von Versam-Safien beträgt rund fünf Kilometer. Sieben Aussichtsplattformen bieten Ausblicke in die Rheinschlucht, sie sind frei zugänglich.

Touren: Eine Schneeschuhwanderung in die Rheinschlucht kann grundsätzlich den ganzen Winter über unternommen werden. Im Dezember und Januar wird die Schlucht nur kurze Zeit von der Sonne beschienen. Touren mit Wanderguide Béatrice Paul sind auf Anfrage jederzeit möglich, mit oder ohne Fondue-Pause, eine Tagestour kostet umgerechnet 440Euro, eine Halbtagestour 340 Euro, alpinasol.ch.

Unterkunft: „The Hide Hotel“ in Flims, Doppelzimmer mit Frühstück ab 200 Euro, thehidehotelflims.ch.; eine preiswertere Alternative ist das „T3 Alpenhotel Flims“, Doppelzimmer ab 100 Euro, alpenhotel-flims.com.

Auskunft: myswitzerland.com; flimslaax.com

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Schweiz Tourismus. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter axelspringer.de/unabhaengigkeit.

Let's block ads! (Why?)


https://news.google.com/__i/rss/rd/articles/CBMibWh0dHBzOi8vd3d3LndlbHQuZGUvcmVpc2UvbmFoL2FydGljbGUyMDQwNTM4NDQvU2Nod2Vpei1XYW5kZXJuLW1pdC1TY2huZWVzY2h1aGVuLWR1cmNoLWRpZS1SaGVpbnNjaGx1Y2h0Lmh0bWzSAW1odHRwczovL2FtcC53ZWx0LmRlL3JlaXNlL25haC9hcnRpY2xlMjA0MDUzODQ0L1NjaHdlaXotV2FuZGVybi1taXQtU2NobmVlc2NodWhlbi1kdXJjaC1kaWUtUmhlaW5zY2hsdWNodC5odG1s?oc=5

2019-12-10 06:28:00Z
CAIiEKhOYWpkV3gjStjXqO5LyaoqGQgEKhAIACoHCAow7vr8CjCd1YkDMMPajAY

Bagikan Berita Ini

0 Response to "Schweiz: Wandern mit Schneeschuhen durch die Rheinschlucht - WELT"

Post a Comment

Powered by Blogger.